Wie wirken sich diese vermehrt auftretenden Wetterextreme auf den Einzelhandel aus? Welche Maßnahmen können Händlerinnen und Händler durchführen, um sich vor Schäden zu schützen und resilienter zu werden? Und warum können diese Vorbereitungen zum Gamechanger und Wettbewerbsvorteil werden?

Darüber sprach das Team von HDE-Adapt, dem Projekt für Klimaanpassung beim Handelsverband Deutschland e. V. mit Birgit Georgi und Dr. Hans-Peter Winkelmann. Beide sind Experten für Klimaanpassung und unterstützen den HDE im Rahmen des vom Bundesumweltministerium geförderten Projekts HDE-Adapt dabei, den Einzelhandel in Deutschland widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels zu machen.

 

Warum ist Klimaanpassung speziell für den Einzelhandel ein wichtiges Thema?

Birgit Georgi: Extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Starkregen und Stürme als direkte Folgen des Klimawandels treten immer häufiger auf und zeigen, dass der Klimawandel schon längst in unserem Alltag angekommen ist. Für den Einzelhandel haben diese Wetterphänomene massive Auswirkungen, nicht erst seit der Flutkatastrophe im Ahrtal. Die Erfahrungen der letzten Hitzesommer haben gezeigt: Steigen die Temperaturen, dann sinkt die Kauflust und die Umsätze fallen. Bei 40 Grad möchte niemand Kleidung anprobieren oder Lebensmittel einkaufen.

Hans-Peter Winkelmann: Aufgrund großer Hitze ist nicht nur mit weiter steigenden Energiekosten zu rechnen, wenn eine stärkere Klimatisierung der Märkte notwendig wird, sondern unter Umständen auch mit einer Win-Lose-Situation, die dem Klimaschutz wiederum entgegenwirkt. Das heißt, dass vormals erzielte Energieeinsparungen wieder zunichte gemacht werden können, durch den zunehmenden Energiebedarf – die nennt man auch Rebound-Effekt. Auch können durch Überschwemmungen oder Stürme Lieferketten reißen und damit die gesamte Logistik und das Warenangebot beeinträchtigen.

 

Der Einzelhandel in Deutschland tut schon eine Menge für den Klimaschutz, warum ist es wichtig, jetzt auch resilienter für die Folgen des Klimawandels zu werden?

Georgi: Klimaschutz und Klimaanpassung sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Beim Klimaschutz geht es um die Vermeidung der Treibhausgasemissionen, bei der Klimaanpassung um die Einbindung der Folgen des Klimawandels – wie etwa den weltweiten Temperaturanstieg – auf beispielsweise die unternehmerische Tätigkeit. Es gibt aber auch Synergieeffekte, beispielsweise wenn ich ein Gründach aufbaue und dies mit einer Solaranlage auf dem Dach meines Unternehmens kombiniere. Dann tue ich gleichzeitig etwas für den Klimaschutz und die Klimaanpassung – deshalb sollte man die beiden Themen immer zusammen denken.

Winkelmann: Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels sind unverzichtbar, weil die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen nicht ausreichen, den Klimawandel komplett zu stoppen und wir vor den zunehmenden Folgen nicht davonlaufen können. Deshalb brauchen wir technisch-bauliche Maßnahmen, natur-basierte Lösungen und organisatorische Maßnahmen, z. B. durch die Einführung von Klimaanpassungskonzepten, die Resilienz als Leitkonzept für Unternehmen in Zeiten des Klimawandels vorsehen. Klimaanpassung kann zukünftig tatsächlich zum „Gamechanger“ für Geschäftsmodelle werden und neue Wettbewerbsvorteile bieten.

 

Was sind denn die größten Probleme bzw. die spezifischen Risiken, die im Einzelhandel durch den Klimawandel entstehen?

Georgi: Man muss unterscheiden zwischen der direkten Betroffenheit von Einzelhandelsunternehmen, die bedingt sind durch natürlich-physikalische Klimawandelphänomene und Extremwettereignisse wie Stürme, Starkregenereignisse, Temperaturanstieg und Hitzewellen, Hagel, Blitz. Und der indirekten Betroffenheit, die sich durch marktliche Auswirkungen wie Nachfrageerhöhung bzw. -rückgang, Beeinträchtigung der Lieferketten durch Betroffenheit von Lieferanten auszeichnet. Im Bereich des Lebensmittelhandels führen die sich zunehmend ändernden Wetterbedingungen zu vermehrten Pflanzenschäden, Ernteausfällen und steigenden Einkaufspreisen. Die Verschiebungen von Saisons lässt beispielsweise Segmente im Bekleidungssektor schrumpfen und verändert die Zeitplanung.

Winkelmann: Vergessen sollte man auch nicht den Gesundheitsschutz der vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einzelhandel, der ja besonders personalintensiv ist und wo die Belegschaft z. B. bei hohen Temperaturen einem besonderen Hitzestress ausgesetzt ist. Die Kundenfrequenz geht bei Hitzewellen auch zurück. Bei stark erhöhten Temperaturen möchte niemand einkaufen gehen. Schlechte Isolierung und veraltete Kühltechnik treiben in Hitzeperioden den Energieverbrauch und die Kosten hoch. Dies wirkt wiederum Energiesparbestrebungen und Klimaschutzkonzepten entgegen. Wie man sieht, haben Veränderungen aufgrund des Klimawandels Auswirkungen auf alle Geschäftsbereiche im Einzelhandel.

 

Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels für den Einzelhandel hört sich komplex an. Welche Schritte empfehlen Sie?

Georgi: Der Klimawandel ist nun mal komplex. Aber mit einer systematischen Vorgehensweise, angefangen mit einer Risiko- bzw. Betroffenheitsanalyse und einer darauf aufbauenden Potenzialanalyse lassen sich Strategien entwickeln, die zur Verbesserung der Anpassungsfähigkeit von Einzelhandelsunternehmen beitragen. Schritt für Schritt und in der Komplexität angepasst an die Unternehmensgröße ist das für jedes Unternehmen machbar.

Winkelmann: All diese Arbeitsschritte münden dann zu guter Letzt in ein Anpassungskonzept. Wichtig ist, dass die Maßnahmen zur Klimaanpassung auch als Innovationspotenzial im Unternehmen verstanden werden. Ein solches Anpassungskonzept muss daher idealerweise nicht nur integraler Bestandteil des Business-Continuity-Plans sein, sondern der DNA des gesamten Unternehmens.

 

Man hört auch immer, dass sich durch die Anpassung an den Klimawandel auch Chancen für den Einzelhandel ergeben. Wie ist das zu verstehen?

Georgi: Frühzeitige Anpassungen des Warenangebots, Diversifizierung der Lieferanten mit Schwerpunkt auf eine regionale Versorgung, Schaffung von Pufferlagern, aber auch bauliche Anpassungen in Bestand und Neubau, wie Verschattung, Isolierung, umweltfreundliche Kühlung, erhöhte Eingangsschwellen, Wasserspeicherung, -versickerung, nach Klimagesichtspunkten geeignete Standortwahl können hier auch Chancen für den Einzelhandel eröffnen.

Winkelmann: Wenn in den Verkaufsräumen angenehme Temperaturen herrschen oder kühlende Gründächer oder Umgebungsgrün einen angenehmen Aufenthalt versprechen, kommt die Kundschaft gerne zum Einkaufen. Eine solche Attraktivitätssteigerung für Kunden durch eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität oder des Einkauferlebnisses bringt Wettbewerbsvorteile und führt auch zu einem Imagegewinn für das Unternehmen. Solche Überlegungen können auch bei der Revitalisierung von Innenstädten – den klassischen Einzelhandelsstandorten, aber auch typischen Hitzeinseln – eine Rolle spielen.

 

Hintergrund zum Projekt HDE-Adapt

Seit 2017 bietet die Klimaschutzoffensive des Handels bundesweit praxisnahe Informationsangebote, die Händler:innen Maßnahmen zu mehr Klimaschutz aufzeigen.

Mit dem neuen Projekt HDE-Adapt startet der HDE nun ein Vorhaben zur Klimaanpassung im Einzelhandel. Hierfür werden Informationsmaterialien erstellt sowie Workshops und Seminare realisiert, die zu einem nachhaltigen Kapazitätsaufbau beitragen, um Einzelhandelsunternehmen für die Folgen des Klimawandels fit zu machen. Durch die Angebote und Aktivitäten von HDE-Adapt werden Einzelhandelsunternehmen gezielt in die Lage versetzt, selbst zu erkennen, was Anpassung an die Folgen des Klimawandels für ihr Unternehmen bedeuten kann. Dabei geht es insbesondere darum, Klimaauswirkungen, Unternehmensrisiken aber auch Chancen sowie konkrete Handlungsbedarfe zu identifizieren.

Das Projekt freut sich auf Einzelhändler:innen mit Weitblick, die ihren Betrieb zukunftsfit machen und sich resilienter aufstellen möchten.

 

Die Fragen stellten Jelena Nikolic (Projektleiterin HDE-Adapt) und Cornelia Rudolph (Projektmanagerin HDE-Adapt).

 

Birgit Georgi bietet als Gründerin und Inhaberin von Strong in a changing climate individuelle Beratung für Unternehmen und Kommunen zu Fragen der Klimaanpassung an. Sie besitzt mehr als 25 Jahre Erfahrung im Bereich der Klimaanpassung und hat auf nationaler sowie internationaler Ebene mit verschiedenen Akteur:innen aus Städten, Unternehmen und Verbänden gearbeitet. Ihre Expertise brachte Sie bereits in verschiedenen europäischen Schlüsselpublikationen ein.

 https://www.birgitgeorgi.eu/

Dr. Hans-Peter Winkelmann ist Gründer und Inhaber von climate4solutions. Er kann auf 35 Jahre praktische Erfahrung im Klimaschutz und in der Klimaanpassung auf nationaler und internationaler Ebene zurückgreifen. Die Beratung von Regierungen sowie die Durchführung von Projekten im privaten und öffentlichen Sektor stehen dabei im Mittelpunkt seiner Tätigkeiten.

https://www.s4c.tech