Wie wirken sich die vermehrt auftretenden Wetterextreme auf den Einzelhandel aus? Welche Maßnahmen können Händlerinnen und Händler durchführen, um sich vor Schäden zu schützen und resilienter zu werden? Und warum können diese Vorbereitungen zum Gamechanger werden?

Darüber sprach das Team von HDE-Adapt, dem Projekt für Klimaanpassung beim Handelsverband Deutschland e. V., mit Birgit Georgi. Sie ist Expertin für Klimaanpassung und nachhaltige Entwicklung und unterstützt den Handelsverband Deutschland (HDE) im Rahmen des vom Bundesumweltministerium geförderten Projekts HDE-Adapt dabei, den Einzelhandel in Deutschland widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels zu machen.

 

Warum ist Klimaanpassung speziell für den Einzelhandel ein wichtiges Thema?

Birgit Georgi: Extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Starkregen und Stürme treten immer häufiger auf und zeigen, dass der Klimawandel schon längst in unserem Alltag angekommen ist. Für den Einzelhandel haben diese Wetterphänomene massive Auswirkungen, nicht erst seit der Flutkatastrophe im Ahrtal. Durch solche Überschwemmungen oder Stürme können Lieferketten reißen und damit die gesamte Logistik und das Warenangebot beeinträchtigen. Auch haben die Erfahrungen der letzten Hitzesommer gezeigt: Steigen die Temperaturen, dann sinkt die Kauflust und die Umsätze fallen. Bei 40 Grad möchte niemand Kleidung anprobieren oder Lebensmittel einkaufen. Zudem schlagen sich die häufiger werdenden Hitzetage für den Einzelhandel merklich in der Stromrechnung nieder. Die Märkte müssen deutlich stärker klimatisiert werden, was die Energieeinsparungen der letzten Jahre wieder auffrisst.

 

Der Einzelhandel in Deutschland tut schon eine Menge für den Klimaschutz, warum ist es wichtig, jetzt auch resilienter für die Folgen des Klimawandels zu werden?

Georgi: Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels sind unverzichtbar, weil die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen nicht ausreichen, den Klimawandel komplett zu stoppen. Vor den zunehmenden Auswirkungen des sich ändernden Klimas können wir nicht weiterhin die Augen verschließen. Man sollte Klimaschutz und Klimaanpassung aber immer zusammen denken: Sie sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Beim Klimaschutz geht es um die Vermeidung der Treibhausgasemissionen, bei der Klimaanpassung um die Einbindung der Folgen des Klimawandels – wie etwa den weltweiten Temperaturanstieg – auf beispielsweise die unternehmerische Tätigkeit. Es gibt auch Synergieeffekte, beispielsweise wenn ich ein Gründach aufbaue und dies mit einer Solaranlage auf dem Dach meines Unternehmens kombiniere. Dann tue ich gleichzeitig etwas für den Klimaschutz und die Klimaanpassung.

Zukünftig kann Klimaanpassung tatsächlich zum Gamechanger für Geschäftsmodelle werden und neue Wettbewerbsvorteile bieten. Unternehmen stehen hier diverse Möglichkeiten offen, von baulichen Maßnahmen wie z. B. der Implementierung eines nachhaltigen Regenwassermanagements oder auch naturbasierten Lösungen wie etwa der Schaffung zusätzlicher Grünflächen am Standort.

 

Was sind denn die größten Probleme bzw. die spezifischen Risiken, die im Einzelhandel durch den Klimawandel entstehen?

Georgi: Veränderungen aufgrund des Klimawandels haben Auswirkungen auf alle Geschäftsbereiche im Einzelhandel. Man muss dabei unterscheiden: Zum einen sind Einzelhandelsunternehmen direkt durch natürlich-physikalische Klimawandelphänomene und Extremwettereignisse betroffen – z. B. durch Stürme, Starkregenereignisse, Temperaturanstieg und Hitzewellen, Hagel und Gewitter. Zum anderen wird ihr Umsatz durch marktliche Auswirkungen von Extremwetterereignissen indirekt beeinflusst – durch Nachfrageerhöhung bzw. -rückgang oder gestörte Lieferketten durch betroffene Lieferanten. 

Weitere Beispiele: Im Bereich des Lebensmittelhandels treiben schlechte Isolierung und veraltete Kühltechnik in Hitzeperioden den Energieverbrauch und die Kosten in die Höhe. Die sich zunehmend ändernden Wetterbedingungen führen zudem zu vermehrten Pflanzenschäden, Ernteausfällen und damit steigenden Einkaufspreisen für die Händler.

Im Bekleidungssektor lässt die Verschiebung von Saisons ganze Segmente wie schwere Winterkleidung schrumpfen und die Zeitplanung verändert sich stark. Die Kundenfrequenz geht bei Hitzewellen in fast allen Branchen zurück. Stressig wird es ja nicht nur für die Kundschaft, auch die Mitarbeitenden sind von steigender Hitze stark betroffen. Klimaanpassung zahlt somit auch auf den Gesundheitsschutz ein.

 

Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels für den Einzelhandel hört sich komplex an. Welche Schritte empfehlen Sie?

Georgi: Der Klimawandel ist nun mal komplex. Aber mit einer systematischen Vorgehensweise, angefangen mit einer Risiko- bzw. Betroffenheitsanalyse und einer darauf aufbauenden Potenzialanalyse, lassen sich Strategien entwickeln, die zur Verbesserung der Anpassungsfähigkeit von Einzelhandelsunternehmen beitragen. Schritt für Schritt und in der Komplexität angepasst an die Unternehmensgröße, ist das für jedes Unternehmen machbar. Aus den Analysen wird dann ein Klimaanpassungskonzept entwickelt, das abteilungsübergreifend und nachhaltig in die Unternehmensstrategie eingebunden werden kann.

 

Man hört auch immer, dass sich durch die Anpassung an den Klimawandel auch Chancen für den Einzelhandel ergeben. Wie ist das zu verstehen?

Georgi: Viele Maßnahmen können auch Chancen für den Einzelhandel eröffnen, z. B. frühzeitige Anpassungen des Warenangebots, die Diversifizierung der Lieferanten mit Schwerpunkt auf eine regionale Versorgung und die Schaffung von Pufferlagern. Weiterhin auch bauliche Anpassungen in Bestand und Neubau, wie Verschattung, Isolierung, umweltfreundliche Kühlung, erhöhte Eingangsschwellen, Wasserspeicherung und -versickerung sowie die Wahl eines geeigneten Standorts nach Klimagesichtspunkten. Durch diese Maßnahmen können sich Einzelhändler klar von der Konkurrenz absetzen. Letztlich generieren Unternehmen durch Präventivmaßnahmen direkte Mehrwerte für ihren Standort. Angenehm gestaltete Verkaufsflächen mit Grünflächen z. B. auch im Gebäude schaffen mehr Attraktivität und Aufenthaltsqualität. Diese Maßnahmen können dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn auch die Innenstädte selbst attraktive Verweilorte bleiben. 

 

 

Hintergrund zum Projekt HDE-Adapt

Seit 2017 bietet die Klimaschutzoffensive des Handels bundesweit praxisnahe Informationsangebote, die Händler:innen Maßnahmen zu mehr Klimaschutz aufzeigen.

Mit dem neuen Projekt HDE-Adapt verfügt der Handelsverband Deutschland über ein Vorhaben zur Klimaanpassung im Einzelhandel. Das Vorhaben erstellt Informationsmaterialien und realisiert Workshops sowie Seminare, die Einzelhandelsunternehmen für die Folgen des Klimawandels wappnen. Durch die Angebote und Aktivitäten von HDE-Adapt können Einzelhandelsunternehmen selbst aktiv werden und die Folgen des Klimawandels für ihr Unternehmen identifizieren.

Das Projekt freut sich auf Einzelhändler:innen mit Weitblick, die ihren Betrieb zukunftsfit machen und sich resilienter aufstellen möchten.

 

Die Fragen stellten Jelena Nikolic (Projektleiterin HDE-Adapt) und Cornelia Rudolph (Projektmanagerin HDE-Adapt).

 

Birgit Georgi bietet als Gründerin und Inhaberin von Strong in a changing climate individuelle Beratung für Unternehmen und Kommunen zu Fragen der Klimaanpassung an. Sie besitzt mehr als 25 Jahre Erfahrung im Bereich der Klimaanpassung und hat auf nationaler sowie internationaler Ebene mit verschiedenen Akteur:innen aus Städten, Unternehmen und Verbänden gearbeitet. Ihre Expertise brachte Sie bereits in verschiedenen europäischen Schlüsselpublikationen ein.