Das rasante Wachstum des Onlinehandels hat das Transportaufkommen in den Städten enorm erhöht. Welche Lösungen sehen Sie für das Spannungsfeld von Internethandel, Fahrzeugtechnik und Verkehrsaufkommen für die kommenden 10, 15 Jahre?

Dr. Urs Maier: Die Herausforderungen der städtischen Logistik bestehen vor allem im Klimaschutz, der Luftreinhaltung und der Verteilung des knappen öffentlichen Raums. Mit der Verkehrswende können sie gemeistert werden. Sie ist nicht nur gut für den Klimaschutz, sondern sorgt auch für eine höhere Lebensqualität in Städten.

Die Verkehrswende steht auf zwei Säulen: Der Mobilitätswende, mit der insbesondere der Energieverbrauch gemindert wird; dies erfolgt durch eine intelligente Bündelung von Warenströmen und eine Verlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsträger wie das Lastenfahrrad oder die Gütertram. Und der Energiewende im Verkehr, also der Umstellung auf klimaneutrale Antriebsenergie und effiziente Fahrzeuge.

Mit Blick auf die Luftqualität in Städten ist es besonders wichtig, Dieselfahrzeuge schnell sauber zu bekommen. Dies gelingt durch die Nachrüstung mit SCR-Katalysatoren zur Stickoxidminderung und die rasche Umstellung auf alternative Antriebe. Unter den alternativen Antriebskonzepten sind batterieelektrische Fahrzeuge für die städtische Logistik am aussichtsreichsten. E-Fahrzeuge sind der Schlüssel für die Energiewende im Verkehr und damit für den Klimaschutz essentiell.

Die Post hat sich früh für Elektrozustellfahrzeuge entschieden. Aber auch andere Logistiker setzen vermehrt auf batterieelektrische Antriebe. Erdgasfahrzeuge können im Lieferverkehr kurzfristig eine sinnvolle Übergangslösung darstellen, da sie im Vergleich zu heutigen Dieselfahrzeugen  sauber sind. Auch wenn Lieferfahrzeuge zumindest vorerst von möglichen Fahrverboten ausgenommen sein werden, ist es auch für die Citylogistik wichtig, dass Planungssicherheit hergestellt wird. Dies geht am sinnvollsten über die frühzeitige Einführung einer Blauen Plakette und klare Ansagen vonseiten der Politik, ab wann es zu Fahrverboten für schmutzige Dieselfahrzeuge kommen kann.

Wird die Elektromobilität bei Lkw bald zur Marktreife kommen?

Maier: Kleinere Lieferfahrzeuge mit Elektroantrieb sind heute bereits zu kaufen. Verschiedene Hersteller haben elektrische Lkw bis in den Bereich schwerer Verteilerverkehr angekündigt, testen sie oder liefern sie bereits an erste Kunden aus. Mit der Elektromobilität bei Lkw verbunden sind Fragen, wie man Ladeinfrastruktur und Stromnetze für die neuen Anforderungen schnell und sinnvoll ausbaut – und wie teuer das alles wird.

Dennoch werden sich Elektro-Lkw in der Stadtlogistik aller Voraussicht nach durchsetzen. Sie nutzen Strom aus Wind und Sonne – also den Hauptenergieträger für den Verkehr der Zukunft – sehr energieeffizient und kostengünstig. Bei der Umwandlung von Strom in Wasserstoff oder synthetisches Gas und Öl geht viel Energie verloren. Bei synthetischem Öl und Gas kommt hinzu, dass Verbrennungsmotoren im Vergleich zu Elektromotoren sehr ineffizient sind.

Verkehrskonzepte werden künftig intelligent und vernetzt miteinander interagieren. Gibt es schon heute vielversprechende Lösungen?

Maier: Es ist richtig: nicht alles kann über eine Antriebswende geleistet werden. Das System städtischer Güterverkehr muss insgesamt effizienter werden. In Zukunft sollten beispielsweise nicht mehr verschiedene Fahrzeuge ein und denselben Ort beliefern, nur weil sie zu unterschiedlichen Dienstleistern  gehören. In Konsolidierungszentren – auch City Hubs oder Urban Hubs genannt – sollten Pakete unterschiedlicher Dienstleister sortiert und dann gebündelt von einem Anbieter in einen Bereich der Stadt geliefert werden.

Das finden die Logistiker bis jetzt nicht so attraktiv, schließlich ist der  Konkurrenzkampf groß und die Fahrzeuge sind die besten Werbeflächen für die Unternehmen. Allerdings gibt es bereits Beispiele für die  anbieterübergreifende Bündelung von Paketen etwa in den Niederlanden in Utrecht oder in Großbritannien in London. Mit fortschreitender Digitalisierung funktioniert diese Form der Logistik immer besser. Und letztlich geht es nicht nur darum, dass weniger Fahrzeuge auf den Straßen sind, sondern auch, dass diese besser ausgelastet sind.

Intelligente Systeme haben die gesamte Lieferkette im Visier. Mit Blick auf den Klimaschutz wäre es ideal, wenn Langstrecken mit dem Zug und die Verteilung in der Stadt mit Elektro-Lkw umgesetzt würden. In einem zweiten Schritt kämen dann sogenannte Mikrokonsolidierungszentren zum Einsatz, wo dann drei oder vier Containerladungen von Lkw in der Stadt abgestellt und mit Elektro-Lastenrädern oder zu Fuß weiter verteilt werden. Dieses System wird in Hamburg und Frankfurt bereits angewendet.

Auch nach Barcelona lohnt ein Blick: Dort wird der Parkraum in temporäre Lieferzonen für Logistikdienste umgewandelt. Über eine App oder SMS können Parkplätze in der City für bestimmte Zeitspannen reserviert werden – so müssen Lieferdienste nicht in zweiter Reihe parken. Verbleiben sie zu lange auf einer Fläche, gibt es Strafen.

Welchen Stellenwert rechnen Sie neuen Belieferungskonzepten zu, beispielsweise der geräuscharmen Nachtlogistik?

Maier: Man sollte Lieferfahrten intelligent steuern und in verkehrsarmen Zeiten vornehmen, insofern ist die Nachtlogistik ein wichtiger Ansatz. Allerdings ist sie nur sinnvoll, wenn die Anwohner nicht zu sehr gestört werden. Und die Lärmfrage ist nicht mit der Umstellung auf Elektrofahrzeuge geklärt. Es gilt, knallende Türen und das laute Rollen von Paketbehältnissen auf der Straße zu vermeiden. Hierfür braucht es geschultes Personal sowie verbesserte Standards und Zertifizierungen.

Dr. Urs Maier ist Projektleiter Güterverkehr beim Think Tank Agora Verkehrswende

 

Dr. Urs Maier ist Projektleiter Güterverkehr bei der Agora Verkehrswende.

 

 

 

 

Dieses Interview erschien zuerst in unserer Broschüre "Auf dem Weg zum klimaneutralen Einzelhandel".

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